Ausgabe vom Samstag, 13. Mai 2023
Innsbruck (OTS) – Die Türkei steht vor einer Schicksalswahl. Und noch bevor die Türken am Sonntag bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen ihre Stimmen abgeben, hat sich Erstaunliches ereignet. Obwohl Präsident Recep Tayyip Erdogan die Türkei seit 20 Jahren dirigiert und spätestens seit dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 energisch den Umbau des Landes in Richtung Autokratie vorantreibt, müssen er und seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP um den Machterhalt bangen. Sein Herausforderer, der Oppositionsführer und Chef der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem nahezu allmächtigen Präsidenten und liegt in jüngsten Umfragen sogar vorne. Allein das ist schon eine Sensation, wenn man sich die Rahmenbedingungen vor Augen führt.
In den vergangenen Jahren entfernte sich die Türkei immer mehr von einer funktionierenden Demokratie. Der Rechtsstaat kam immer stärker in Bedrängnis, kritische Medien wurden geschlossen und Zehntausende Kritiker wurden in Folge des gescheiterten Putsches als Staatsfeinde gebrandmarkt und landeten hinter Gittern. Die Institutionen des Staates wurden ausgehöhlt und mit einer Verfassungsänderung gab sich Präsident Erdogan weitreichende Vollmachten. Mit dem 2018 in Kraft getretenen Präsidialsystem wurde das Parlament entmachtet und der Präsident ist zugleich Staats- und Regierungschef. Darüber hinaus entfernte sich die Türkei immer weiter von Europa. Der Ton wurde immer aggressiver, die Gräben immer tiefer.
Und das, obwohl Erdogan einst als Hoffnungsträger des Westens galt. Er verwandelte in den frühen 2000er-Jahren den „kranken Mann vom Bosporus“ in ein Wirtschaftswunderland, sprengte die engmaschige Verflechtung von Militär, Geheimdiensten, Politik, Justiz und Verwaltung und ließ auch den so genannten „kleinen Mann“ am neuen Wohlstand in der Türkei teilhaben. Das geostrategisch so wichtige muslimische Land blieb fest im Westen verankert, als NATO- und G20-Mitglied spielt man im Konzert der Großen mit und agiert als Bindeglied zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten. Und Europa blieb lange zumindest in Sichtweite.
Mit Erdogans autoritärer Wende wurden viele Bande zerschnitten. Im Land und in den Beziehungen nach außen. Doch eine schwere Wirtschaftskrise mit galoppierender Inflation und die Folgen der Erdbebenkatastrophe haben tiefe Risse im System Erdogan hinterlassen. Und die türkische Zivilgesellschaft beweist trotz Aushöhlung demokratischer Institutionen Stärke. Auch Autokraten können abgewählt werden.
Rückfragen & Kontakt:
Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com
Quelle
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.